Widerstand beschreibt zunächst nur eine Beobachtung:
Etwas kommt nicht in Bewegung – obwohl ein Impuls dazu gesetzt wurde. Er zeigt sich in Form von Ablehnung, Verzögerung, Ausweichen, Rückzug oder offener Konfrontation. Doch diese Oberfläche sagt noch nichts über das Warum. Denn Widerstand ist nicht gleich Verweigerung – und nicht jedes „Nein“ ist gegen die Sache gerichtet.
Warum wir auf Veränderungen mit Widerstand reagieren
In der psychologischen Forschung gilt Widerstand nicht als Sturheit, sondern als Reaktion auf einen empfundenen Eingriff ins eigene System – sei es emotional, kognitiv oder sozial.
- Besonders anschaulich beschreibt das die Reaktanztheorie von Jack Brehm (1966):
- Wenn Menschen das Gefühl haben, ihre Freiheit oder Selbstbestimmung werde bedroht, reagieren sie mit Widerstand – um diese wiederherzustellen.
- Auch die Appraisal-Theorien von Lazarus und Folkman (1984) zeigen:
- Menschen reagieren nicht auf objektive Reize, sondern auf ihre Bewertung der Situation. Wird eine Maßnahme als irrelevant, unpassend, riskant oder übergriffig interpretiert, wird sie mit Widerstand beantwortet – selbst wenn sie rational sinnvoll wäre.
- In der Systemtheorie und Organisationspsychologie kommt eine weitere Perspektive hinzu:
- Widerstand ist nicht dysfunktional – er ist ein Schutzmechanismus. Er dient der Stabilisierung bestehender Muster, dem Erhalt von Rollen oder der Vermeidung von Kontrollverlust (vgl. Luhmann, Lewin). In Gruppen kann Widerstand zudem kollektive Loyalität markieren: Wer zu früh mitgeht, stellt sich gegen das informelle System.
Gerade in Veränderungsprozessen erleben viele Führungskräfte und Teams, wie sich Widerstand nicht rational erklären lässt – sondern tieferliegende Ursachen hat.
Widerstand richtig deuten: Schutzmechanismus statt Störung
„Das wird bei uns nicht funktionieren.“ – sagt die Teamleitung.
„Da macht mein Kollege eh wieder dicht.“ – denkt man im Projekt.
„Immer wenn ich etwas anspreche, geht sie sofort in Abwehr.“ – erlebt man zu Hause.
Ob offen oder subtil: Widerstand erfüllt immer eine Funktion. Er schützt. Er reguliert. Er entzieht sich Druck. Er fordert Klarheit ein. Und manchmal ist er schlicht ein Ausdruck innerer Überforderung.
Entscheidend ist also nicht, dass Widerstand auftritt – sondern wie wir ihn lesen.
Drei typische Formen von Widerstand
Widerstand zeigt sich im Teamalltag nicht immer laut, deutlich oder konfrontativ. Viele Führungskräfte und Verantwortliche erleben ihn in drei Grundformen – als Trotz, Rückzug oder stille Zustimmung ohne echtes Mittragen.
Diese drei Reaktionsmuster sind wissenschaftlich beschrieben und gelten als die typischen Antworten auf äußeren Druck, Einschränkungen oder wahrgenommenen Kontrollverlust.
Wenn Menschen das Gefühl haben, ihre Entscheidungsfreiheit werde eingeschränkt, reagieren sie oft mit offener Ablehnung, Gegenargumenten oder demonstrativer Verweigerung. Dieses Verhalten beschreibt die Reaktanztheorie (Brehm, 1966) als psychologisch motivierten Versuch, Autonomie wiederherzustellen.
Gerade in Veränderungsprozessen erleben Führungskräfte und Teams diese Form besonders häufig – als lautes Nein gegen das, was eigentlich rational begründet wurde.
Reaktanz zeigt sich z. B. in Sätzen wie:
„Das lassen wir uns nicht vorschreiben.“
„Ich mache da nicht mit – das ist unnötig.“
Es geht nicht um den Inhalt der Maßnahme, sondern um das Empfinden, bevormundet, übergangen oder kontrolliert zu werden. Reaktanz ist damit die sichtbarste Form von Widerstand – aber auch die am leichtesten misszuverstehende.
Denn was laut erscheint, ist oft kein Angriff, sondern ein Selbstschutzversuch.
Nicht jeder Widerstand ist aktiv. Wenn Menschen über längere Zeit die Erfahrung gemacht haben, dass ihre Rückmeldungen keine Wirkung haben oder sie sich in komplexen Strukturen ohnmächtig fühlen, entsteht ein Zustand, den die Psychologie als erlernte Hilflosigkeit beschreibt (Seligman, 1975). Die Reaktion ist keine Aggression, sondern Passivität – ein inneres Abschalten.
Im Teamkontext zeigt sich diese Form häufig als „Dienst nach Vorschrift“ oder scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber Entscheidungen von oben. Aber auch im Privaten gibt es klassische Beispiele: Wenn jemand in der Familie irgendwann nicht mehr widerspricht, sondern einfach gar nichts mehr sagt.
Typische Anzeichen:
„Ich hab dazu nichts zu sagen.“
„Das wird ja eh wieder anders gemacht.“
„Wenn ihr das so entscheidet, passt das schon.“
Lethargischer Widerstand ist besonders tückisch, weil er leicht mit Zustimmung verwechselt wird.
Dabei ist er ein Zeichen innerer Abkopplung und ein Hinweis darauf, dass psychologische Sicherheit fehlt oder frühere Erfahrungen nicht verarbeitet sind.
Die dritte Form des Widerstands ist die am schwersten zu erkennen: Überkonformität. Menschen sagen „ja“, nicken mit, spielen engagierte Beteiligung – ohne innerlich mitzugehen.
Die Gründe sind vielfältig: Angst vor Statusverlust, Konfliktvermeidung, Misstrauen gegenüber Führung oder System, erlernte Anpassung. Die Maßnahme wird nicht angegriffen – aber auch nicht umgesetzt.
Solomon Asch (1956) beschrieb dieses Verhalten als normativen sozialen Einfluss: Menschen sagen „ja“, um dazuzugehören, nicht weil sie überzeugt sind – sondern um Konflikte, Ablehnung oder Sichtbarkeit zu vermeiden.
In Teams und Organisationen ist diese Art des Widerstands besonders heimtückisch, weil sie nach außen wie Unterstützung aussieht und Projekte trotzdem ins Stocken geraten.
Typische Aussagen:
„Klar, das machen wir dann so.“
„Das klingt gut – ich leite das ans Team weiter.“ (Danach: nichts.)
In Teams kann das zu scheinbarer Einigkeit führen und später zu Enttäuschung, wenn niemand ins Handeln kommt.
Überkonformität ist kein Betrug, sondern oft ein unbewusster Schutzmechanismus. Die betroffene Person erzeugt Nähe, ohne sich zu exponieren.
Diese drei Formen – Reaktanz, Lethargie und Überkonformität – helfen, Widerstand als Verhalten mit Funktion zu verstehen: Man schützt Autonomie, sichert sich gegen Überforderung ab oder wahrt die Beziehung zum System. Doch Verhalten allein erklärt noch nicht, was Menschen wirklich bewegt.
Denn hinter dem Wie des Widerstands steht oft ein vielschichtiges Warum.
Um es sichtbar zu machen, lohnt sich ein Blick in die Tiefe – auf acht Dimensionen, die Widerstand verständlich machen. Sie zeigen dir, auf welchen Ebenen sich Widerstand erklären lässt: individuell, emotional, sozial, strategisch oder situativ.

Widerstand besser verstehen:
8 Ursachen, die dahinter stecken können
Ob Reaktanz, Lethargie oder stille Zustimmung: Widerstand kann ganz unterschiedlich aussehen. Doch egal wie er sich äußert – die entscheidende Frage bleibt: Was steckt dahinter? Was bringt eine Person dazu, eine Maßnahme offen abzulehnen, passiv auszusitzen oder scheinbar mitzutragen, ohne sich wirklich einzubringen?
Hier reicht es nicht, das Verhalten zu bewerten. Es braucht einen Blick für das, was innerlich wirksam ist – für die Erfahrungen, Bewertungen, Rollenbindungen oder situativen Zustände, die das Handeln bestimmen. Denn Widerstand ist selten monokausal. Oft greifen mehrere Ebenen ineinander – emotional, sozial, strategisch.
8 Dimensionen des Widerstands
Das folgende Modell unterscheidet acht Dimensionen, über die sich Widerstand strukturieren, verstehen und – mit klarem Blick – auch besser ansprechen lässt:
🔸Erfahrung
Was steckt dahinter?
Frühere Erlebnisse mit dem Thema oder Projektion von vergangenen Situationen
Typische Aussage:
„Wir hatten sowas schon mal – da ist am Ende nichts draus geworden.“
Das sollte bei der Argumentation beachtet werden:
Was wurde in vergleichbaren Situationen schon erlebt?
🔸Prägung
Was steckt dahinter?
Langfristige Werte, Führungsideale oder Unternehmenskulturen
Typische Aussage:
„Gesundheit ist Privatsache – da mischen wir uns nicht ein.“
Das sollte bei der Argumentation beachtet werden:
Welche Grundüberzeugung prägen das Denken und Handeln?
🔸Bewertung
Was steckt dahinter?
Subjektive Deutung – etwas wird z. B. als relevant, übergriffig, unterstützend etc. bewertet
Typische Aussage:
„Mein Team kommt auch gut ohne diese Maßnahme zurecht.“
Das sollte bei der Argumentation beachtet werden:
Wie wird die Situation gedeutet – welche Verknüpfungen werden gezogen?
🔸Nutzen
Was steckt dahinter?
Strategische Vorteile wie Ressourcen sparen, Kontrolle behalten oder Themen verschieben – meist zum Schutz eigener Bedürfnisse
Typische Aussage:
„Das kostet zu viel, wenn wir die Abläufe dafür unterbrechen.“
Das sollte bei der Argumentation beachtet werden:
Was wird durch den Widerstand, subjektiv gesehen, gewonnen oder verloren?
🔸Loyalität
Was steckt dahinter?
Bindung an das eigene Team, frühere Entscheidungen oder implizite Gruppennormen
Typische Aussage:
„Der Betrieb muss laufen. Wir müssen die Vorgaben erfüllen.“
Das sollte bei der Argumentation beachtet werden:
Welche Verpflichtungen bestehen anderen gegenüber und was darf dadurch nicht gefährdet werden?
🔸Verfügbarkeit
Was steckt dahinter?
Momentane emotionale, mentale und körperliche Verfassung – Überforderung, Trauer oder fehlender kognitiver Raum für neue Themen
Typische Aussage:
„Ich kann das jetzt gerade nicht auch noch koordinieren.“
Das sollte bei der Argumentation beachtet werden:
Kann das Thema im Moment angenommen werden?
🔸Beziehung
Was steckt dahinter?
Mangelndes Vertrauen in die Person, die das Thema vorantreibt
Typische Aussage:
„Von der HR kommt eh immer was Neues – diesmal setze ich lieber aus.“
Das sollte bei der Argumentation beachtet werden:
Wie ist das Verhältnis zur Person, die das Thema bringt?
🔸Zutrauen
Was steckt dahinter?
Einschätzung der eigenen Fähigkeit, mit der Situation oder Anforderung umgehen zu können
Typische Aussage:
„Ich weiß gar nicht, wie ich das machen sollte.“
Das sollte bei der Argumentation beachtet werden:
Wird die Situation als bewältigbar angesehen?
Ob als Führungskraft, Kollegin oder Partner – wer Widerstand erkennt, kann genauer zuhören, klüger reagieren und ehrlicher arbeiten.
Weiterführende Artikel über den Umgang mit Gefühlen
Wenn du dich tiefer mit deinen Gefühlen auseinandersetzen möchtest, findest du hier:
🔗 Teil 1: Echte Gefühle erkennen: Was du wirklich fühlst – und warum
🔗 Teil 2: Umgang mit Gefühlen: erkennen, verstehen, reagieren
Fazit
Widerstand erkennen und als Impuls nutzen
- Widerstand will nicht entkräftet, sondern verstanden werden. Er ist ein Signal, für Führungskräfte, für Teams, für jede Art von Miteinander: Wer ihn erkennt, kann ihn nutzen, statt daran zu scheitern.
- Wer sich die Mühe macht, genau hinzusehen, entdeckt darin nicht das Ende von Zusammenarbeit – sondern ihren Anfangspunkt. Denn in jeder Ablehnung steckt ein Hinweis: auf Erfahrungen, auf Werte, auf ungesagte Bedenken.
- Nicht jede Reaktion braucht eine Lösung. Aber jedes Verhalten verdient ein Fragezeichen.
Passende Literatur:
• zu Brehm, J. W. (1966) und Asch, S. E. (1956): Jonas, K., Stroebe, W., & Hewstone, M. (Hrsg.) (2014). Sozialpsychologie. 6. Aufl. Heidelberg: Springer Verlag.
• Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, Appraisal, and Coping. New York: Springer Publishing Company.
• Seligman, M. E. P. (1975). Helplessness: On Depression, Development, and Death. San Francisco: W. H. Freeman and Company.
• Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
• Lewin, K. (1982). Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Bern: Huber Verlag.